Ein Landschaftsband von europäischem Rang
Zwischen Bad Dürkheim und Herxheim am Berg liegt eines der eigenständigsten Kultur- und Naturmosaike der Pfalz: Im Osten der weite Dürkheimer Bruch mit seinen wechselfeuchten Wiesen, Gräben und Hecken, im Übergang die Rebenlandschaft der Mittelhaardt mit ihren großen Lagen, und westlich darüber der felsige Haardtrand mit dem Naturschutzgebiet Felsenberg–Berntal. Dieser Raum ist kein „Restgrün“, sondern in weiten Teilen europäisch geschützt: Der Dürkheimer Bruch ist FFH-Gebiet (Natura 2000) und zugleich Teil des EU-Vogelschutzgebiets „Haardtrand“.
Dürkheimer Bruch – Wiesen, Wasser, Wendehälse
Der Bruch ist rund 697–698 ha groß – ein flacher, wassergeprägter Wiesenkomplex, dicht durchzogen von Gräben, Baumgruppen und Hecken. Genau diese kleinräumige Struktur macht ihn zum Lebensraum für streng geschützte Arten: vom Wachtelkönig und Kiebitz über Wiedehopf, Neuntöter und Wendehals bis hin zur streng geschützten Schmalen Windelschnecke (Vertigo angustior). Das Gebiet ist ausdrücklich auch als Ausgleichs- und Erholungsraum geschützt – die Verordnung zielt auf den Erhalt des Landschaftsbildes, von Boden, Wasser, Klima und Artenreichtum.
Wer heute durch den Bruch wandert, erlebt einen scheinbar unspektakulären Raum, der aber gerade wegen seiner Weite und Ruhe zu den wertvollsten Brut- und Rastgebieten der Mittelhaardt gehört. Kiebitze zeigen hier ihre Balzflüge, Grau- und Silberreiher durchstreifen die Wiesen, und am Rand stehen alte Kopfweiden, die zahlreichen Insekten und Höhlenbrütern Heimat geben.
Kallstadt – große Lagen, große Geschichte
Am Fuß des Haardtrands liegt Kallstadt, eingefasst von Weinbergslagen, deren Namen weltweit klingen. Besonders bekannt ist der „Kallstadter Saumagen“, doch dieser liegt nicht im direkten Wirkungsbereich der geplanten Trasse. Stattdessen ist vor allem die Lage Steinacker betroffen – eine ausgedehnte, südexponierte Fläche, die sich vom Ortsrand Kallstadts Richtung Herxheim am Berg zieht.
Der Steinacker ist eine historische Lage, schon im 14. Jahrhundert urkundlich erwähnt, deren Name sich vom „steinigen Acker“ ableitet. Genau diese steinigen, kalkhaltigen Böden sorgen heute noch für kräftige, mineralische Rieslinge und Burgunder. Die Parzellen sind kleinteilig, von alten Wirtschaftswegen, Trockenmauern und Obstbäumen durchzogen – eine Kulturlandschaft, die sich über viele Jahrhunderte entwickelt hat.
Die geplante B 271 neu würde den Steinacker in Teilstücken durchschneiden und damit nicht nur landwirtschaftliche Nutzflächen, sondern auch das gewachsene Mosaik zerstören. Für Winzer bedeutet das dauerhafte Erschwernisse bei Bewirtschaftung, Parzellierung und Mikroklima. Für die Landschaft bedeutet es den Verlust von Zusammenhängen, die über Jahrhunderte die Charakteristik der Kallstadter Gemarkung prägten.
Felsenberg–Berntal & Herxheim am Berg – Fels, Trockenmauern, Karst
Zwischen Kallstadt und Herxheim am Berg öffnet sich das Naturschutzgebiet Felsenberg–Berntal: kalkige Felsbänder, Magerrasen, alte Trockenmauern, dazwischen Obstwiesen und Rebbrachen – ein Mosaik, in dem Mauereidechse und Schlingnatter Verstecke finden und rund 40 Vogelarten regelmäßig brüten, darunter Zaunammer, Gartenrotschwanz und Heidelerche. Das NSG umfasst ca. 300 ha und liegt in den Gemarkungen Kallstadt, Herxheim und Leistadt.
Besonders sensibel ist das Naturdenkmal „Herxheimer Karsthöhle“, ein mehrere Millionen Jahre alter Hohlraum im tertiären Kalkalgenriff, 2012 als Naturdenkmal ausgewiesen – nicht nur geologisch bedeutend, sondern auch biologisch (Höhlenfauna) und archäologisch.
Herxheim am Berg selbst trägt Schichten von 1500 Jahren Siedlungsgeschichte – vom fränkischen „Heriesheim“ über die romanische St.-Jakobskirche (Baubeginn 1014) bis zur kontinuierlichen Weinbautradition.
Was die B 271 neu hier tatsächlich vorhat
Die Planunterlagen des Landesbetriebs Mobilität (LBM) lassen erkennen, wie tief das Projekt in diesen Raum schneiden würde.
– Im südlichen Abschnitt „OU Kallstadt–Ungstein“ beginnt die Trasse am B-37-Knoten „Gewerbegebiet Bruch“, läuft zunächst gebündelt nahe der Bahn, untertunnelt die Bahn in Tieflage, quert den westlichen Dürkheimer Bruch in Dammlage, überschreitet die Isenach und nutzt dann die L 455, bevor sie dem Schlittgraben folgt und bei Herxheim an die B 271 alt anschließt. Schon hier sind Biotopdurchschneidungen, Gewässerquerungen und Grundwassereingriffe benannt.
– Im mittleren Abschnitt „OU Herxheim am Berg“ zeigt der offizielle Variantenvergleich eine Einschnittsvariante (sowie eine Tunneluntervariante) mit einer markanten Talbrücke an der L 522 (rund 210 m lang). Der LBM betont zwar die „minimierte Brückenhöhe“ durch Querung am Tiefpunkt, zugleich räumt er ein: Die Trasse tangiert den Rand des NSG Felsenberg–Berntal bei der B 271 alt („nahe Querung“), und die Maßnahmen zur Wahrung des Klimas im Weinbau sind aufwendig.
Auch landschaftlich ist die Lage hochsensibel: Die Umweltverträglichkeitsstudie beschreibt den „felsigen Haardtrand“ mit Berntal als Landschaftseinheit hoher Qualität und Naherholungsbedeutung, deren Transparenz und Unzerschnittenheit bereits heute unter Druck stehen – weitere Trassen erhöhen die Fragmentierung.
Warum diese Trasse absurd ist
1) Harte Natura-2000-Konflikte – und der Versuch, sie „wegzukompensieren“
Die Trasse nimmt im Dürkheimer Bruch (FFH-Gebiet) Lebensräume streng geschützter Arten in Anspruch. Das wird in den Unterlagen ausdrücklich anerkannt – samt einem Maßnahmenkomplex von über 10 ha „Wiesen/Gehölzkomplex“ bei Erpolzheim. Wenn ein Vorhabenträger zweistellige Hektar-Pakete an Ausgleich plant, belegt er damit die Schwere des Eingriffs. Doch Ausgleich schafft keine identische ökologische Funktion – schon gar nicht kurzfristig in einem hydrologisch geprägten Wiesen- und Grabenland wie dem Bruch.
2) NSG Felsenberg–Berntal: Schutzgebiet ist Schutzgebiet
Die „nahe Querung“ am Tiefpunkt ändert nichts daran, dass ein Brückenbau samt Erdbau, Baustellenlogistik, Erschütterungen und Lärm unmittelbar neben einem Naturschutzgebiet mit Karsthöhle, Trockenrasen und Trockenmauern stattfindet. Diese Strukturen sind extrem stör- und schadenanfällig; die Karsthohlräume gelten teils als instabil. In einem Gebiet, das seit Jahrzehnten Schritt für Schritt unter Schutz gestellt wurde, muss der Grundsatz „Vermeidung vor Ausgleich“ gelten.
3) Landschaftsbild und Erholungswert – gesetzlich anerkannte Schutzgüter
Die UVP bewertet die Landschaftsqualität des Haardtrands als hoch. Eine Talbrücke und Einschnittslage mit Dammabschnitten schafft sicht- und hörbare Barrieren, spaltet Wanderwege und Weinlandschaft, nimmt Aussichtslinien auf Rheinebene und Mittelgebirge. Wer hier wandert – etwa auf den offiziellen Touren durchs Berntal und entlang der oberen Abbruchkante – erlebt genau diese Offenheit. Ein baulich dominantes neues Band widerspricht dem Charakter des Schutz- und Erholungsraums.
4) Risiko „Stückwerkstraße“: Verkehrsentlastung unklar – teils sogar Verschlechterungen
Die eigenen LBM-Zahlen zeigen: Werden Abschnitte isoliert realisiert, verschieben sich Belastungen – teils zu Ungunsten von Ortslagen. Im „Planfall 2“ (nur OU Kallstadt–Ungstein) steigt die Belastung in Herxheim am Berg laut Prognose auf bis zu 13 000 Kfz/24 h – ein massiver Mehrverkehr. Eine Entlastung stellt sich erst ein, wenn alle Teilstücke gleichzeitig fertig sind – was seit Jahren nicht gelingt. Das Projekt ist inzwischen zum Paradebeispiel für Verzögerungen geworden; selbst die RHEINPFALZ schreibt von veralteten Naturschutzgutachten, zusätzlichem Klärungsbedarf und der realen Möglichkeit des Scheiterns.
5) Weinbau-Mikroklima und einzigartige Böden in Gefahr
Nicht der berühmte Saumagen, sondern die Lage Steinacker wäre am stärksten betroffen. Dort verlaufen Kaltluftbahnen, die für die Durchlüftung der Reben wesentlich sind. Dammbauten, Einschnitte und Brücken können diese Abflüsse verändern und damit die Frostgefährdung erhöhen – ein Effekt, den Winzer seit Generationen genau beobachten. Dazu kommt: Weinberge im Steinacker sind aufwendig terrassiert und durchzogen von Trockenmauern, die nicht nur für die Reben, sondern auch für Mauereidechse, Blindschleiche und zahlreiche Insektenarten wertvolle Habitate bilden. Die Zerschneidung dieser Lage durch eine Bundesstraße widerspricht dem Ziel, Kulturlandschaft und Biodiversität im Weinberg zu erhalten.
6) Rechtlicher High-Level-Check statt „Durchwinken“
Eingriffe in FFH-/Vogelschutzgebiete erfordern den höchsten Prüfmaßstab (Natura-2000-Verträglichkeit). Ein Projekt, das Bruch-Lebensräume zerstört und am NSG-Rand brückt, muss eine Alternativenprüfung auf Augenhöhe bestehen – inklusive Bündelung entlang bestehender Infrastrukturen. Genau das spricht die UVP an – und genau daran scheitert die aktuelle Planung seit Jahren.
Was stattdessen logisch wäre
- Bündelung statt Zerschneidung: Wo tatsächlich Leistungsdefizite bestehen, ist die Führung entlang bereits versiegelter Korridore (Bahn, bestehende Straßen) die geringere Übel-Variante.
- Regionaler Güterverkehr auf die Achsen lenken: Direkte LKW-Anbindung an die Entwicklungsachse Freinsheim–Frankenthal (B 271n / B 9 / A 6) statt „Weinstraßen-Transit“.
- Verkehrsmanagement statt Beton reflex: Temporeduzierung, Lkw-Durchfahrtsbeschränkungen, Knotenpunkt-Optimierungen, ÖPNV-/Bike-Angebote – alles schnell wirksam, finanziell tragfähig und reversibel.
Fazit
Vom wechselfeuchten FFH-Wiesenland des Dürkheimer Bruchs über die traditionsreiche Lage Steinacker – geerdet in kalkigem Untergrund – bis hin zum felsigen Haardtrand mit seinem Naturschutz- und Naturdenkmal-Ensemble Felsenberg–Berntal/Herxheimer Karsthöhle: Dieses kurze Stück Pfalz bündelt eine Dichte an Schutzgütern, Geschichte und Identität, die in Deutschland ihresgleichen sucht.
Eine neue Bundesstraße, die hier Brücken schlägt, Wiesen durchschneidet, Gewässer quert und gerade dort Verkehr bündelt, wo Europa- und Landesrecht Schutz gebieten, ist fachlich nicht zu rechtfertigen. Die eigenen Behördenunterlagen belegen Eingriffe und Ausgleichspakete in zweistelliger Hektargröße, komplizierte Brückenpunkte am NSG-Rand und verkehrliche Risiken, wenn wieder einmal nur Teilstücke realisiert werden. Zugleich wächst der rechtliche und gesellschaftliche Gegenwind – bis hin zur Frage, ob das Projekt am Ende überhaupt noch genehmigungs- oder umsetzungsfähig ist.
Kurz: In diesem Raum ist die „B 271 neu“ nicht modern, sondern anachronistisch – und damit tatsächlich absurd.
Quellen (Auswahl):
LBM/UVP-Bericht 2022 (Trassenverlauf, Landschaftsbewertung, Maßnahmen), LBM-Faktencheck 2019 (OU Herxheim, Talbrücke, Verkehrswirkungen), POLLICHIA & BfN (Dürkheimer Bruch, Arten), Rechtsverordnung NSG Felsenberg–Berntal (Größe, Lage), Gemeinde-/Tourismusinfos (Saumagen/Terra Rossa), RHEINPFALZ 11.08.2025 (Verzug, Naturschutzprobleme).